top of page

Was bleibt, wenn alle Welten enden

  • Autorenbild: Anastasia Weimer
    Anastasia Weimer
  • 4. Dez.
  • 3 Min. Lesezeit

Es gibt Gedanken, die groß genug sind, um in den dunkelsten Momenten ein kleines Licht zu werfen. Gedanken, die man nicht denkt, weil sie wahr sind, sondern weil sie uns helfen, das Unbegreifliche ein wenig auszuhalten.

So begann mein Gedankengespräch über Paralleluniversen, über die Theorie der Quanten-Unsterblichkeit und über meinen Opa, dessen Leben 2009 hier zu Ende ging.


Die Theorie, über die ich nachdachte, ist ein Gedankenexperiment, kein Naturgesetz. Aber sie entfaltet die Fantasie auf eine besondere Weise.

Stellt euch vor, ihr balanciert auf einer schmalen Kante. Bei jedem Schritt könnt ihr nach links oder rechts springen. Und egal wohin ihr geht, geradeaus, zurück oder zur Seite, jeder Schritt, jeder Sprung teilt die Welt in neue Wege. Jede Entscheidung, jeder Ausgang erzeugt ein neues Universum, in dem das Leben ein wenig anders weiterläuft. Bei jedem nächsten Schritt wiederholt sich das Spiel, immer weiter, sodass ein unendliches Netz aus Möglichkeiten entsteht. So entsteht nicht nur eine Zukunft, sondern viele zugleich. Jede dieser Lebens-Geschichten entwickelt sich ein wenig anders weiter. Das nennt man die "Viele-Welten-Idee". Und in dieser Vorstellung stirbt ein Mensch in dieser Welt, in unserer Realität und lebt in einer anderen weiter.


Mein Gedanke war; wenn mein Opa hier gestorben ist, könnte es dann irgendwo einen Zweig geben, in dem er weiterlebt? Eine Art Version seines Lebens, die dort nicht endete? Und existiere ich dort auch? Die Antwort, innerhalb dieses Gedankenexperiments, wäre eine schöne: ja. Denn ein abspaltendes Universum ist kein Jenseits, kein Himmel, kein "danach". Es ist einfach ein anderer Faden des Netzes, der beim selben Ursprung begann. In jedem dieser Fäden gibt es auch mich oder etwas, das ich hätte sein können.


Doch dann stellte ich die Frage, die unausweichlich kommt, wenn man den Gedanken weiter verfolgt: Was passiert in jener Parallelwelt, in der mein Opa weiterlebt, wenn dort jemand anderes stirbt... zum Beispiel seine Frau, mein Oma? Würde er dort um sie weinen, während wir hier um ihn weinen? Und würde er überhaupt wissen können, dass er in der "Realität" gestorben ist? Und wie lange kann ein Mensch in solche Welten "hinüberrutschen"? Was, wenn er 90 wird? 100? 111? Alles Leben altert. Alles Leben trägt sein Ende in sich. Kein Universum, ob geteilt oder verzweigt, kann einen Körper unendlich jung halten, geschweige denn unsterblich machen.


Auch in diesem Gedankenexperiment gibt es keine unendliche Existenz. Irgendwann erreicht man einen Punkt, an dem es keine Abzweigung mehr gibt. Der Körper findet keinen Weg mehr, der gesund genug ist, keinen neuen Zweig, der sein Leben weitertragen könnte.

Und dann endet es.

Vielleicht ist das der schönste Teil dieses Gedankens: Selbst wenn es unendlich viele Möglichkeiten geben könnte, bleibt jedes Leben ein begrenztes, einmaliges Wunder.


Die Idee von Parallelwelten taucht auch in zwei großen Bereichen der Physik auf: Zum einen in der Quantenphysik. Die "Viele-Welten-Interpretation" versucht zu erklären, warum kleinste Teilchen sich so seltsam verhalten. Sie stellt sich vor, dass bei jedem ungewissen Moment nicht nur eine Möglichkeit passiert, sondern dass alle Möglichkeiten in unterschiedlichen "Versionen" der Welt weiterlaufen könnten. Aber das ist kein bewiesener Fakt, es ist ein Modell, eine Idee, wie man Quantenphänomene denken kann.

In der Kosmologie gibt es verschiedene Theorien, zum Beispiel die "Inflationstheorie", die nahelegt, dass es viele Universen geben könnte, jedes mit seinen eigenen Eigenschaften. Aber auch das sind keine gesicherten Tatsachen. Es sind nur mathematische Modelle.

Die Wissenschaft sagt somit, vielleicht gibt es viele Welten. Vielleicht auch nicht. Wir wissen es nicht. Wir können sie nicht besuchen, nicht beeinflussen, nicht einmal sicher nachweisen.

Was bleibt, ist ein Gedanke, der trösten kann, aber nicht verspricht. Die Idee, dass irgendwo eine andere Version weitergeht, doch die Welt, die zählt, ist diese hier. Die Welt, in der Menschen weiterleben, die wir lieben.


Somit bleibt uns die wichtigste Welt von allen; die unsere. Die, in der mein Opa gelebt hat und geliebt hat. Die, in der wir um ihn trauern, weil er uns etwas bedeutet hat. Die, in der keine Theorie je ersetzen kann, was ein Mensch im Herzen hinterlässt.


Vielleicht existiert irgendwo ein Faden, in dem er gerade lacht, seine Tasse Kaffee vor sich auf dem Tisch stehen hat und aus ihr den ersten heißen Schluck schlürft, während das Sonnenlicht durch sein Wohnzimmerfenster fällt. Vielleicht. Aber der Faden, den ich halte, ist der, der hier geblieben ist: Er war da. Und er fehlt. Und vielleicht ist genau das, seine Spuren auf dieser einen Seite der Wirklichkeit, die Art von Unsterblichkeit, die am Ende wirklich zählt.


Anastasia Weimer

 
 

SINCE 2018

bottom of page